
Redeangst kann lähmen – und gleichzeitig das Gefühl vermitteln, damit ganz allein zu sein. Dabei betrifft sie erstaunlich viele Menschen: vom Azubi im ersten Team-Meeting bis hin zur erfahrenen Führungskraft auf dem Podium.
In einem meiner vorherigen Artikel habe ich gezeigt, warum viele Tipps gegen Redeangst nicht helfen – vor allem, wenn sie zu oberflächlich bleiben.
In diesem Beitrag gehen wir einen Schritt weiter: Ich zeige dir konkret umsetzbare Strategien, die wirklich wirken können – vorausgesetzt, du nutzt sie nicht nur als Lektüre, sondern als Werkzeug. Du findest hier eine Mischung aus einfachen Techniken für den Alltag und tiefergehenden Ansätzen, die du gezielt für dich nutzen kannst.
Such dir die aus, die zu dir passen – und vor allem: bleib dran.
1. Atem regulieren – Nervensystem beruhigen
Angst zeigt sich fast immer zuerst im Atem. Flach, schnell, unregelmäßig – das signalisiert dem Körper: Alarm! Genau hier setzt eine bewusste Atemübung an.
So geht’s:
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Setz dich bequem hin, beide Füße auf dem Boden.
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Atme 4 Sekunden durch die Nase ein.
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Halte 2 Sekunden inne.
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Atme 6 Sekunden langsam durch den Mund aus.
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Wiederhole das 5–10 Mal.
Wirkung:
Du aktivierst - gerade durch das längere Ausatmen - den parasympathischen Teil deines Nervensystems – den Teil, der für Entspannung und Regulation zuständig ist. Das reduziert das Stresslevel
messbar.
2. Angstgedanken unterbrechen – mit dem Gedanken-Stopp
Wenn du dich erwischst bei Gedanken wie: „Ich werde rot“, „Ich blamiere mich“, „Alle sehen, dass ich nervös bin“ – dann wende die Gedanken-Stopp-Technik an.
So geht’s:
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Sage innerlich (oder leise) „Stopp!“, sobald du merkst, dass sich ein negativer Gedanke wiederholt.
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Stell dir ein Stoppschild vor – oder klatsch leise in die Hände.
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Dann frage dich: Was wäre ein hilfreicher Gedanke an dieser Stelle?
Beispiel:
Statt: „Ich halte das nicht aus.“ → „Ich darf nervös sein. Und ich mache es trotzdem.“
Wirkung:
Du unterbrichst die emotionale Spirale – und lenkst dein Denken bewusst in eine stabilere Richtung.
Vielen Menschen fällt es schwer, diese Technik im entscheidenden Moment wirklich anzuwenden – sei es aus Überforderung, innerem Widerstand oder mangelnder Übung. Im Coaching arbeiten wir deshalb
oft gezielt daran, diese Fähigkeit zu trainieren: den Gedanken bewusst wahrzunehmen, sich nicht von ihm überrollen zu lassen – und sich
innerlich neu auszurichten. Gerade hier zeigt sich, wie wertvoll individuelle Begleitung sein kann.
3. Körpersprache aktiv einsetzen – mit Power statt Schutzhaltung
Viele Menschen mit Redeangst machen sich klein: Schultern hochgezogen, Kopf leicht nach unten, verschränkte Arme. Diese Körperhaltung signalisiert dem Gehirn: Gefahr!
So geht’s:
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Stell dich bewusst aufrecht hin.
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Schultern zurück, Brustbein leicht anheben.
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Blick geradeaus.
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Atme tief durch und nimm bewusst Raum ein – auch wenn niemand zusieht.
Wirkung:
Deine Haltung beeinflusst deine Emotionen. Eine kraftvolle Körperhaltung signalisiert deinem Gehirn: Ich bin sicher. Ich darf hier sein.
4. Dein Souveränitäts-Anker – ein Reiz für ein gutes Gefühl
Ein innerlich starker Zustand lässt sich bewusst mit einem äußeren Reiz verknüpfen – z. B. mit einer Geste wie Daumen und Zeigefinger zusammendrücken. Diese NLP-Technik nennt sich Anker setzen.
So geht’s:
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Denk an eine Situation, in der du dich sicher, ruhig oder souverän gefühlt hast.
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Spüre dich ganz in dieses Gefühl hinein – mit allen Sinnen. Mach es so stark du kannst.
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In dem Moment, in dem das Gefühl am stärksten ist, setze deinen Anker (z. B. durch Druck auf einen Finger, eine Faust oder ein kleines Handzeichen).
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Wiederhole das mit mehreren positiven Erinnerungen.
Wirkung:
Du speicherst diesen Zustand gezielt ab – und kannst ihn später durch die gleiche Geste wieder abrufen. Ein mentaler Shortcut zu deinem inneren Sicherheitsgefühl.
Viele Menschen tun sich schwer damit, dieses Gefühl allein intensiv genug zu erzeugen oder den Anker wirklich wirksam zu setzen. Im Coaching machen wir das Schritt für Schritt gemeinsam. Oft
hilft es, angeleitet zu werden, um den Zustand tiefer zu spüren und den richtigen Moment für den Anker zu erkennen. Probiere es
erstmal aus – und hol dir Unterstützung, wenn du merkst, dass es allein nicht so leicht funktioniert.
5. Visualisieren – trainiere deinen souveränen Auftritt innerlich
Viele Menschen mit Redeangst sehen sich innerlich bereits scheitern, lange bevor sie überhaupt sprechen. Diese „mentalen Katastrophenfilme“ laufen automatisch ab und verstärken die Angst – selbst wenn äußerlich noch alles ruhig wirkt.
Deshalb lohnt es sich, gezielt neue innere Bilder zu entwickeln – Bilder, die dich stärken, statt dich zu verunsichern. Denn dein Gehirn reagiert auf Vorstellung fast genauso wie auf echte Erfahrung. Und genau das kannst du für dich nutzen.
So geht’s:
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Finde einen ruhigen Moment, setze oder lege dich bequem hin.
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Schließe die Augen.
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Stell dir vor, du betrittst einen Raum, in dem du sprechen wirst – z. B. ein Meeting, ein Vortrag, eine kleine Runde.
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Sieh dich selbst, wie du ruhig atmest, klar sprichst, dich frei bewegst - voller Selbstvertrauen.
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Achte auf Details: Wie klingt deine Stimme? Wie fühlt sich dein Körper an? Wie reagieren die Zuhörer:innen?
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Lass das Bild innerlich lebendig werden – wie ein kleiner Film, bei dem du die Regie führst.
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Wiederhole diese Visualisierung regelmäßig – am besten täglich, 2–3 Minuten reichen schon.
Wirkung:
Durch diese mentale Wiederholung legst du eine neue innere Spur an. Dein Gehirn gewöhnt sich an die Vorstellung, dass du sicher auftreten kannst – was sich langfristig auf dein reales Verhalten
auswirkt. Je öfter du diesen Film abspielst, desto vertrauter wird dir das Gefühl von Souveränität.
Manche Menschen können innere Bilder sehr lebendig aufbauen – andere nicht. Beides ist völlig okay. Im Coaching arbeiten wir gezielt daran, deine Vorstellungskraft zu aktivieren und zu stärken, sodass du lernst, innere Szenen mit mehr Klarheit und Gefühl zu erleben. Oft hilft eine geführte Visualisierung, um diesen Zugang leichter zu finden – und das Vertrauen in den Prozess zu stärken.
6. Die Zehen-Technik – unauffällig, aber wirksam
Was tun, wenn du mitten in einer Redesituation merkst, dass deine Nervosität ansteigt? Wenn du nicht fliehen kannst, aber innerlich alles schreit: „Raus hier!“ Genau hier kommt die Zehen-Technik ins Spiel – eine simple, aber effektive Möglichkeit, dich zu stabilisieren, ohne dass es jemand bemerkt.
So funktioniert die Technik:
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Während du sprichst oder präsent bist, richte deine Aufmerksamkeit kurz auf deine Füße.
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Wackle sanft mit den Zehen – abwechselnd rechts und links, oder einfach gleichmäßig.
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Du kannst auch leicht mit den Zehen in den Schuh drücken – wie ein inneres „Greifen“.
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Lass diese Bewegung kontinuierlich laufen, während du redest oder zuhörst.
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Gleichzeitig atmest du ruhig weiter – am besten bewusst länger aus als ein.
Warum das funktioniert:
Diese Technik nutzt ein zentrales Prinzip aus der Selbstregulation: Aufmerksamkeitslenkung plus Körperempfinden. Angst und Aufregung führen dazu, dass unsere Aufmerksamkeit komplett in den Kopf wandert – zu Gedanken wie „Was, wenn ich versage?“ oder „Alle schauen mich an“. Wenn du dich stattdessen bewusst auf einen körperlichen, kontrollierbaren Reiz konzentrierst – wie deine Zehen – entzieht das dem Angstsystem im Gehirn (v. a. der Amygdala) Energie. Der Körper bekommt das Signal: Ich bin im Jetzt. Ich bin handlungsfähig.
Diese Technik lässt sich neuropsychologisch als Teil eines „somatischen Ankers“ verstehen – vergleichbar mit Methoden aus dem Embodiment oder der achtsamen Körperwahrnehmung (Interozeption). Studien zeigen, dass bewusste Wahrnehmung
körperlicher Signale (z. B. Atmung, Druckpunkte, Bewegung) angstregulierend wirkt, weil sie die Aktivität im präfrontalen Kortex stärkt – also im Bereich, der für Klarheit, Kontrolle und
Beruhigung zuständig ist.
Viele Klient:innen sind zunächst skeptisch: „Das soll helfen?“ und sind dann überrascht, wie stabilisierend es wirkt – gerade weil es so unspektakulär ist. Im Coaching integrieren wir solche Techniken oft in eine größere Strategie: z. B. in den Ablauf eines Rede-Rituals oder als Teil eines Angst-Stopp-Prozesses. Wenn du magst, probiere die Zehen-Technik selbst aus – sie kann dein kleiner, geheimer Anker werden.
Tipps helfen – wenn du dranbleibst
Diese 6 Tipps sind keine magische Lösung. Aber sie sind machbar. Und sie funktionieren – wenn du sie anwendest. Vielleicht fängst du mit einem an. Vielleicht probierst du zwei. Entscheidend ist: Du gehst los. Und wenn du dabei merkst: Ich komme allein nicht weiter, ist das kein Scheitern – sondern oft der Moment, an dem Veränderung wirklich möglich wird. Im Coaching gehen wir tiefer. Wir schauen gemeinsam auf die Muster, die deine Angst unbewusst aufrechterhalten. Du bekommst keine allgemeinen Ratschläge, sondern strategisch passende Werkzeuge. Wir arbeiten mit gezielten Imaginationen, Reiz-Reaktions-Kopplungen, emotionalen Ankern – und schaffen einen Raum, in dem du dich sicher ausprobieren kannst.
Wenn du bereit bist, nicht nur Tipps zu sammeln, sondern neue Erfahrungen zu machen, begleite ich dich gern auf deinem Weg zu mehr Souveränität.
Wagner Empowerment ist für Sie auch deutschlandweit da.
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